I. Das Quadrat
Ein Quadrat ist ein Quadrat. Auch dann, wenn ein Winkelstück entnommen, herausgerückt, zur Seite getreten ist? Ein Quadrat ist ein Quadrat. Erst recht, wenn wir ein Quadrat im Quadrat wahrnehmen, das Verrücken überhaupt erst das eigentliche Quadrat offenlegt?
Was geschieht hier? Und geschieht es wirklich, wie die Maße suggerieren, in Sitzhöhe? Und natürlich: Was ist hier überhaupt zur Seite geschoben, was hat der sich als Bildhauer verstehende Künstler Jochen Damian Fischer aus dem Spiel genommen, um ein neues zu eröffnen? Eine Umrandung? Eine Abdeckung?
Das Quadrat findet sich mittig in einem Rechteck. Das Quadrat aus mit Betonguss ummantelten Kunst- stoff. Das Quadrat, das ein Quadrat freigibt. Ein Quadrat aus Erde. Ein Quadrat aus Erde auf dem Boden einer ehemaligen Steingießerei. Ein frei gegebenes Quadrat im Zentrum einer für die Kunst freigegebenen ehemaligen Produktionshalle. Produkte eines Marktführers entstanden hier fast 80 Jahre lang. Von der Mühlsteinfabrikation zum Kulturpark – die Geschichte ist bekannt und wird doch wieder und erneut zum Spiegel wie zum Sinnbild eines mit dem Begriff Transformation mühsam verschleierten Bruches.
Das Quadrat steht für sich. Zeigt Größe. Demonstriert Selbstverständlichkeit. Mit dem Selbstbewusst- sein aber ist es nicht so weit her. Fragen schleichen sich ein. Ist das Quadrat, wenn es sich schließt, wirklich ein Quadrat? Und wie tief ist das Quadrat im Quadrat, wie tief ist das Erdreich, das wir als Quadrat im Quadrat identifizieren, das streng genommen aber schon als Material die geometrische Strenge verweigert?
II. Das Mögliche
„ruin_ed“. Ein Hinweis, der verwirren kann. Weder wird hier etwas ruiniert, noch würde man vorschnell die archetypische Figuration der Ruine aufrufen. Oder müssen wir das Gestaltdenken des 20. Jahrhunderts mit seinem industriellen Erschließen nahezu aller realer Höhen und Tiefen als derart Vergangenes lesen? Ist gar die beflügelnde Hoffnung sicherer Versorgung, die doch einen Großteil historisch gewordener Untergrundurbanität kennzeichnet, angesichts tief eingegrabener monströser Fabrikationsanlagen mit dem einzigen Ziel Vernichtung als schöner Schein entlarvt und so jeglicher Zukunft beraubt?
Und nicht zuletzt: Was ist mit der Kunst über Kunst- Realität? Das Quadrat hat seine eigene Geschichte. Sie beginnt vor Jahrtausenden, gerät mit Kasimir Malewitsch unter Beachtung aller Merkmale des Skandals zu einer ikonenhaften Gleichung und bestimmt bis heute und ungeachtet des Ringens um Quadratstörer wie die Diagonale und die Eigenkraft des im Quadrat immer lesbaren Kreises unsere Idee des Konkreten.
Ein Quadrat ist ein Quadrat. Jochen Damian Fischer stellt dies nicht in Frage. Und seine Erfahrungen im Suburbanen (das sinnhafter Weise ebenso im Irgendwo zu finden ist und damit das scheinbare Nirgendwo zu einer die Menschen verbindenden Größe macht) sind viel zu real, als dass er das sich öffnende Quadrat und das Quadrat im Quadrat nicht als Möglichkeit identifizieren würde. Fischer geht es nur scheinbar nicht um den kafkaesken Punkt, von dem aus es kein Zurück mehr gibt. Tatsächlich aber drängt er immer neu auf diesen Punkt zu – einzig mit dem Ziel, ihn buchstäblich zu überschreiten, einen schärfenden Wahrnehmungsschritt weiter zu kommen. Folgerichtig fast scheidet die surreale Überhöhung einer Scheintiefe aus. Jochen Damian Fischer geht es nicht um das Verunmöglichen, vielmehr wagt er wider besseres historisches und aktuelles Wissen die Identifikation des Möglichen.
III. Die Verführung
Wenn im Blick auf Fischers bisheriges Werk mit gutem Grund auf die Besonderheit seines Interesses am gebauten Untergrund abgehoben wird und zudem das körperliche Sich-Aussetzen des Künstlers gleichermaßen als Voraussetzung der Arbeit wie als Notwendigkeit der Umsetzung identifiziert sind, weist doch gerade die Präsentation in der ehemaligen Steingießerei-Halle im heutigen Kulturpark Dettinger in Plochingen noch auf anderes hin: das Moment der Verführung. Das geöffnete Beton- Quadrat, das den Blick freigibt auf ein (Nicht-)Quadrat aus Erde endet in Sitzhöhe. Was aber, wenn die Aufsicht zur Ansicht oder gar zur Untersicht würde? Ganz selbstverständlich ist ruin_ed. zugleich Skulptur und Modell, steht zugleich für sich und verführt doch zum Weiterdenken.
Mehr noch versetzt uns jedes der Werke von Jochen Damian Fischer in eine eigentümliche Vorfreude. Der Gedanke des Absoluten ist als zunächst ja doch nur ahnbares Gefühl Antrieb, unabhängig von der real ge- gebenen Möglichkeit hineinsteigen, hinabsteigen zu können. Absolute Stille, absolutes Dunkel, absolute Helligkeit, absolute Tonalität – in einer Zeit, da wir ein Gegenüber kaum mehr vorbehaltlos wahrnehmen, markiert Jochen Damian Fischer den Raum bereits in seiner Möglichkeit als jenes Andere, das wir zu entdecken bereit sind, dem wir im eigentlichen Sinn zu begegnen bereit sind.
V. Das Material
Das Quadrat öffnet sich. Beton öffnet sich. Erde wird sichtbar. Erde auf steinernem Grund. Erde auf der Suche nach dem Gegenüber. Erde, die ein Darunter ahnen lässt. Erde, die ein Darunter ahnen lässt, das zugleich Gebautes umgibt, ummantelt, ja, birgt.
Realisiert Jochen Damian Fischer seine Ideen im Außenraum, wird der Dialog schärfer, präziser, wird zu einem Fall für alle Sinne. Beton zeigt sich als Partner von Erde, bereit zudem, Wasser als Dritten im Materialbund aufzunehmen. Beton zeigt sich als Wegweiser unter die Erde, als Sicherung zudem, bevor Stahlbleche „übernehmen“. Ein neuer Klang, eine neue Temperatur, ein neuer Geruch. Die Bleche fassen ein Rund, halten die Erde ab und greifen nach etwas, das doch nur eine Idee ist. Der Himmel lässt uns aufatmen, die erlebbare Verbindung nach Drau- ßen provoziert Bewegung.
VI. Das Auftauchen
Alle Arbeiten von Jochen Damian Fischer verweisen auf ein Doppel: Verschwinden und Auftauchen. Der Einstieg des Künstlers in gefundene beziehungswei- se (selbst) gebaute (Untergrund-)Anlagen markiert somit den Beginn einer Performance, die wir nicht in Gänze erleben können, die wir aber doch über unser Wissen der von Fischer in Betonguss und Bronze ge- schaffenen Räume teilen. Das fotografisch dokumentierte Auftauchen des Künstlers wird zuletzt Moment der Verführung, gibt es uns doch die Sicherheit, auch selbst zu seinen Interventionen im Untergrund vor- dringen zu können beziehungsweise in seine mit der Landschaft verwobenen Großskulpturen eintreten zu können.
In dieser Logik wird die Frage nach dem Maß und dem Wert des Verborgenen, nach dem im Performativen Erlebbaren, bedeutsam. Jochen Damian Fischer reagiert darauf mit einer verblüffenden Logik: Die Dokumentation seines Werkes von 2010 bis 2021 verschwindet in einem Betonblock, der durch eine Farbbahn schwarzen Offsetlacks die Figuration des Katalogs „Jochen Damian Fischer // subworks 2010- 2021“ aufnimmt. Die Publikation, Plattform auch eines Gesprächs zwischen Elisabeth Kuon und Sebastian Schmitt, erlebt eine Transformation besonderer Art: Sie wird Akteurin in einem Kunstwerk. Das reale Verschwinden und Auftauchen des Künstlers wird mit dieser Arbeit zu einer gültigen Bestandsaufnahme. Und wenn gerade diese in 20 den Materialien geschuldeten Varianten auftritt, macht Jochen Damian Fischer unmissverständlich deutlich, dass jedes Verschwinden darauf zielt, jedes Auftauchen einzig für sich gültig zu erleben und wahrzunehmen.
Nikolai B. Forstbauer, September 2022
The room is the other
I. The square
A square is a square. Even if an angle piece is removed, pushed out, stepped off to the side? A square is a square. Even more so when we perceive a square within a square, when the shifting reveals the actual square in the first place?
What is happening here? And is it really happening, as the dimensions suggest, at sitting eye height? And of course: What has been pushed aside here at all, what has the artist Jochen Damian Fischer, who sees himself as a sculptor, taken out of the game in order to open up a new one? A border? A cover?
The square is found in the center of a rectangle. The square made of plastic and then coated with concrete. The square that releases a square. A square made of earth. A square of earth on the floor of a former millstone factory. A square freed up in the center of a former production hall that was freed up for art.
For almost 80 years, the millstone products of this market leader were created here. From millstone factory to a cultural park – the story is well known and yet time and again it becomes a mirror as well as a symbol of a rupture laboriously veiled by the term transformation.
The square stands for itself. Shows size. Demons- trates implicitness. But the self-confidence is not
so convincing. Questions creep in. Is the square, when it closes, really a square? And how deep is the square within the square, how deep is the soil that we identify as a square within the square, but which, strictly speaking, already refuses geometric rigor as a material?
II. the possible
„ruin_ed“. A reference that can confuse. Neither is anything ruined here, nor would one hastily invoke the archetypal figuration of the ruin. Or do we have to read the gestalt thinking of the 20th century with its industrial reach towards almost all real heights and depths as something so past? Is even the inspiring hope of secure supply, which nevertheless characterizes a large part of underground urbanity that has become historical, unmasked as a beautiful pretense in the face of deeply-dug monstrous manu- facturing plants with the sole aim of destruction and thus robbed of any future?
And last but not least: What about art over art-reality? The square has its own history. It begins millennia ago, and with Kasimir Malewitsch, while fulfilling all the characteristics of a scandal, turns into an iconic equation and, despite the onslaught of square disruptors such as the diagonal and the inherent power of the circle, which can always be read in the square, determines our idea of the concrete to this day.
A square is a square. Jochen Damian Fischer does not question this. And his experiences with the suburban (which, sensibly enough, is also to be found in the somewhere and thus turns the apparent nowhere into a quantity that connects people) are far too real for him not to identify the opening square and the square within the square as a possibility. Fischer is only apparently not concerned with the Kafkaesque point from which there is no turning back. In fact, however, he is always pushing towards this point anew – with the sole aim of literally transcending it, of coming a further clarifying perceptual step closer. Consequently, the surreal exaggeration of an apparent depth is almost ruled out. Jochen Damian Fischer is not concerned with the impossible; rather, contrary to better historical and current knowledge, he dares to identify the possible.
III. The seduction
If, in view of Fischer‘s previous work, the special nature of his interest in the built underground is, with good reason, emphasized, and if the artist‘s physical exposure is identified both as a prerequisite for the work and as a necessity for its realization, the presentation in the former millstone factory
hall in today‘s Kulturpark Dettinger in Plochingen points to something else: the moment of seduction. The opened concrete square, which offers a view
of a (non)square made of earth, ends at sitting eye height. But what if the top view were seen as frontal or even as an underside view? It goes without saying that ruin_ed. is both a sculpture and a model; that it stands for itself, and yet, at the same time, seduces us to continue thinking.
Even more, each of the works of Jochen Damian Fischer puts us in a peculiar state of anticipation. The idea of the absolute is, as an initially only vaguely discernable feeling, a drive, regardless of any real possi- bility to enter it, to descend into it. Absolute silence, absolute darkness, absolute brightness, absolute tonality – in a time when we hardly perceive a counterpart without reservation anymore, Jochen Damian Fischer already marks the space in its possibility as that other which we are ready to discover, which we are, in the real sense, ready to encounter.
V. The material
The square opens. Concrete opens. Soil becomes visible. Soil on stony ground. Soil in search of the opposite. Soil that suggests an underneath. Soil that suggests an underneath that at the same time surrounds, encases, yes, conceals the built.
When Jochen Damian Fischer realizes his ideas in outdoor spaces, the dialogue becomes sharper, more precise, becomes a case for all the senses. Concrete shows itself as a partner of earth, ready moreover to accept water as a third party in the material alliance. Concrete shows itself as a signpost pointing under the earth, as a safeguard before steel sheets „take over“. A new sound, a new temperature, a new smell. The metal sheets clasp a circle, hold off the earth, and reach for something that is only an idea after all. The sky lets us breathe; the tangible connection to the outside provokes movement.
VI. The emergence
All Jochen Damian Fischer‘s works refer to a double: disappearance and emergence. The artist‘s entry into found or (self) built (underground-) installations thus marks the beginning of a performance that we can- not experience in its entirety, but which we never- theless share through our knowledge of the spaces created by Fischer in cast concrete and bronze. The photographically documented appearance of the artist ultimately becomes a moment of seduction, as it gives us the reassurance of being able to penetrate his interventions in the underground ourselves, or to enter his large sculptures interwoven with the landscape.
Within this logic, the question of the measure and value of the hidden, of what can be experienced in the performative, becomes significant. Jochen Dami- an Fischer responds to this with a perplexing logic: he submerges his catalog „Jochen Damian Fischer // Subworks 2010-2021“ into a concrete block with a strip of black offset printing lacquer on its surface, thus mirroring the black strip on the catalog itself. The publication, also the platform for a conversation between Elisabeth Kuon and Sebastian Schmitt, experiences a transformation of a special kind: it beco- mes an actor in a work of art. The real disappearance and appearance of the artist becomes a valid taking of stock with this work. And if precisely this occurs in 20 variations owing to the materials, Jochen Damian Fischer makes it unmistakably clear that each disap- pearance aims at experiencing and perceiving each emergence as uniquely valid.
Nikolai B. Forstbauer, April 2022